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Das Urteil des EuGH C-895/19: polnische Regelungen sind EU-widrig

Magda Olszewska

Stand: 31.03.2021
Magda Olszewska

Am 19. März 2021 hat das EuGH entschieden, dass die polnischen Regelungen über Abrechnung der Mehrwertsteuer aus innergemeinschaftlichen Erwerben (weiter: igE) mit der EU-Richtlinie nicht vereinbar sind (C-895/19).

In diesem Beitrag besprechen wir:

  • den Revere-Charge-Mechanismus, der für die Abrechnung der Umsatzsteuer bei den igE Anwendung findet.
  • die in Polen ab Anfang 2017 geltenden Vorschriften und wie sie zur unbegründeten Zusatzbelastung der Unternehmer geführt haben,
  • die Entscheidung des EuGH sowie die Erstattungsmöglichkeiten für die Unternehmer, die sich bisher an die polnischen Regelungen gehalten haben.

Abrechnung der Mehrwertsteuer aus igE – Prinzip

Nach den Grundprinzip des Umsatzsteuerrechts ist der leistende Unternehmer verpflichtet, für seine Leistungen dem Kunden die Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen und diese an das Finanzamt abzuführen.

Die Abrechnung der Umsatzsteuer aus Einkäufen von Unternehmern aus anderen EU-Ländern (innergemeinschaftlichen Erbwerben – iGe) unterliegt jedoch einer Sonderregelung, dem sog. Revere-Charge-Verfahren. Während bei den Transaktionen innerhalb eines Landes die Unternehmer ihre Rechnungen mit Umsatzsteuer ausstellen, werden die Rechnungen in den Transaktionen mit Unternehmern aus anderen EU-Ländern ohne Umsatzsteuer ausgestellt. Der Käufer zahlt dem Verkäufer lediglich einen Netto-Betrag, übernimmt jedoch von dem Verkäufer die Umsatzsteuerschuld gegenüber dem Finanzamt. Der Leistungsempfänger hat allerdings die Möglichkeit, den Umsatzsteuerbetrag als Vorsteuer geltend zu machen, insoweit er vorsteuerabzugsberechtigt ist.

Bei den meisten B2B Transaktionen bedeutet es, dass der Käufer sowohl die aus den igE geschuldete Umsatzsteuer als auch die geltend gemachte Vorsteuer in eigenen Umsatzsteuermeldungen ausweist. Im Endeffekt belastet die Umsatzsteuer aus der Transaktion den Käufer meistens nicht.

Beispiel: Eine in Deutschland ansässige Firma verkauft an einen polnischen Kunden Waren im Wert von 100.000 PLN. Aufgrund der Verfahrensanwendung wird die Rechnung an den polnischen Kunden netto erstellt. Die polnische Firma weist in eigener Umsatzsteuererklärung die Umsatzsteuer igE i.H.v. 23.000 PLN (100.000 PLN x USt-Satz von 23%) sowie die geltende gemachte Vorsteuer in derselben Höhe aus. Im Endeffekt beträgt die Steuerbelastung der polnischen Firma 0 PLN.

Die in Polen geltenden Vorschriften

Anfang 2017 hat der polnische Gesetzgeber spezifische Regelungen zur Abrechnung der Mehrwertsteuer aus IgE eingeführt, die der Neutralität des Reverse-Charge-Verfahrens gefährdet haben.

Der polnische Gesetzgeber hat nämlich eine Regelung eingeführt, wonach der Abzug der Vorsteuer aus IgE nur dann im demselben Abrechnungszeitraum vorgenommen werden kann, in dem die Umsatzsteuer aus IgE angemeldet wird, wenn er die Umsatzsteuer aus igE in einer Steuererklärung ausgewiesen hat, die innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem die Steuerpflicht in Bezug auf die erworbenen Waren entstand, eingereicht wird.

Wird die Steuererklärung mit der ausgewiesenen Umsatzsteuer erst später als rückwirkende Meldung eingereicht, so kann dann der Unternehmer die Vorsteuer nicht in derselben rückwirkenden Meldung, sondern erst in der laufenden Meldung ausweisen. Das bedeutet, dass der Unternehmer, der igE rückwirkend anmelden will, muss diese Transaktion in zwei verschiedenen Meldungen erfassen:

  • die Umsatzsteuer in der rückwirkenden Meldung für den Zeitraum, in der der igE stattgefunden ist und
  • die Vorsteuer in der laufenden Meldung (sog. „Erfassung in Spaltenform“).

Beispiel: Eine in Deutschland ansässige Firma verkauft am 30.04.2020 an einen polnischen Kunden Waren im Wert von 100.000 PLN. Aufgrund der Verfahrensanwendung wird die Rechnung an den polnischen Kunden netto erstellt. Die polnische Firma hat jedoch vergessen, den igE in der Steuererklärung für 04/2020 zu melden.

Anfang November 2020 wurde bei der polnischen Firma entdeckt, dass der igE in der Steuererklärung nicht erfasst wurde. Gemäß den polnischen Vorschriften musste die Firma eine Korrektur der Meldung für 04/2020 durchführen, um die Umsatzsteuer aus igE zu melden. Da die Frist von 3 Monaten bereits abgelaufen ist, konnte sie die Vorsteuer in derselben Periode 04/2020 nicht ausweisen, erst in der laufenden Meldung 10/2020. Anschließend musste die Firma bei dem Finanzamt einen Antrag auf die Verrechnung der in 04/2020 entstandenen Umsatzsteuer mit der in 10/2020 geltend gemachten Vorsteuer stellen.

Auf den ersten Blick scheint die Neutralität des Reverse-Charge-Verfahrens nicht gefährdet zu sein: zwar werden die Umsatzsteuer und Vorsteuer in zwei getrennten Abrechnungsräumen angemeldet, aber letztendlich werden sie gegeneinander verrechnet. Man darf jedoch nicht vergessen, dass es für den Zeitraum zwischen dem Monat der rückwirkenden Anmeldung der Umsatzsteuer und der laufenden Anmeldung der Vorsteuer Verzugszinsen anfallen. In Polen beträgt der Zinssatz für die zu spät bezahlte Steuer 8% p.a.

Beispiel- Fortsetzung: Da die polnische Firma die Umsatzsteuer in der Meldung 04/2020 angemeldet hat und die Vorsteuer erst in der Meldung für 10/2020 abgezogen hat, sind die Verzugszinsen für die sechs Monaten i.H.v. ca. 920 PLN angefallen (USt 23.000 * 8% *6/12).

Bei den Unternehmer, die sehr weit zurückliegende Korrekturen durchführen mussten, um die innergemeinschaftlichen Erwerben zu melden, könnte der Betrag der angefallenen Verzugszinsen beträchtlich sein.

Das Urteil des EuGH (C-895/19)

Die in Polen geltenden Regelungen zur Abrechnung der Mehrwertsteuer aus igE bei den rückwirkenden Meldungen haben viele Kontroversen hervorgerufen, was im Endeffekt dazu geführt hat, dass das Thema dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde.

Am 19. März 2021 hat das EuGH ist einem Urteil (C-895/19) entschieden, dass die in Polen ab 2017 geltenden Vorschriften über die Abrechnung der Mehrwertsteuer aus IgE gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verstoßen und in Widerspruch zu den Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie stehen.

Das EuGH hat somit klargestellt, dass die in Polen geltenden Vorschriften rechtswidrig sind.

Bedeutung für die Unternehmer

Die Unternehmer, die bisher die innergemeinschaftlichen Erwerbe bei einer rückwirkenden Anmeldung gemäß den polnischen Vorschriften ausgewiesen haben, haben jetzt die Möglichkeit, die bezahlten Verzugszinsen zurückzubekommen.

Dieselbe Argumentation würde Anwendung bei dem Dienstleistungsimport finden.

Bedeutung für die Amazon Händler

Das Urteil ist insbesondere bedeutend für die deutschen Amazon Händler, die am Pan-EU Programm teilnehmen und zu der Umsatzsteuer in Polen angemeldet sind. Alle Warenbewegungen von den Lagern im Ausland an die polnischen Lager von Amazon sind in den polnischen Umsatzsteuererklärungen der Amazon Händler als igE zu erfassen. Bei den Händlern, die sich mit Verspätung zu der Umsatzsteuer in Polen angemeldet haben, ist es wahrscheinlich, dass die igE in der „Spaltenform“ gemeldet wurden, was zu einer zusätzlichen Belastung mit den Verzugszinsen geführt hat.

Wie können wir dich unterstützen?

Wir können den Unternehmern, die bisher die igE oder Dienstleistungsimport „in Spaltenform“ erfasst haben, bei der Erstattung der zu Unrecht bezahlten Verzugszinsen unterstützen. Wir helfen bei den Korrekturen der Steuererklärungen sowie vertreten den Unternehmern im Verfahren zur Feststellung der Überzahlung.




Mein Name ist Magda Olszewska. Ich bin polnische Steuerberaterin und Leiterin der Kanzlei Olszewska Tax Consulting. Ich verfasse regelmäßig neue Artikel für unseren Blog, in denen ich Themen aufgreife, mit denen wir uns in unserer Praxis befassen.

Sollte es noch offene Fragen geben oder der Wunsch nach einer persönlichen Beratung bestehen, kontaktieren Sie uns gerne.

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